Immunonkologie

Von mysteriösen Ereignissen zur Krebsimmuntherapie

Die Geschichte der Therapie gegen Krebs reicht zurück bis in die Antike. Wir spulen ein wenig vor, genauer gesagt ins Jahr 1867. Zu diesem Zeitpunkt begab sich eine krebskranke Patientin in die Hände der chirurgischen Universitätsklinik Bonn. Dort begann ihr Tumor auf scheinbar mysteriöse Weise zu schrumpfen. Die bis dato bekannte Sachlage: Sie lag in einem Bett, in dem vorher ein Patient mit einer Hautinfektion gelegen hatte. Seltsam. Es dauerte beinahe 40 Jahre, bis Paul Ehrlich im Jahre 1909 seine Hypothese postuliert, dass bestimmte Moleküle im Körper Tumore erkennen und zerstören können. Doch was sollten dies für Moleküle sein? War Ehrlich nur ein weiterer Wissenschaftler, der den Leuten den Schlüssel zur Karzinomforschung versprach? Ein wichtiger Schritt zu Lösung des Rätsels wurde im Jahre 1957 von Frank M. Burnet gemacht. Seine schreckliche Erkenntnis: Es kommt im Körper ständig zur Bildung entarteter Zellen. Im Normalfall werden diese durch unser Immunsystem erkannt und vernichtet. Gelingt es den tückischen Zellen aber, sich der Überwachung durch das Immunsystem zu entziehen, kann die Erkrankung entstehen, die seither unzählige Menschen das Leben kostete.

Ein wenig Licht ins Dunkle bringen 1970 die ersten tumorgerichteten Antikörper. In den 1980-er Jahren wird basierend auf den neuen Erkenntnissen die Beobachtung von spontanen Tumorrückbildungen gewonnen. Diese geschahen im Zusammenhang mit unspezifischen Immuntherapien. Ein belastendes Beweisstück: Zytokine, darunter Interferon alpha und Interleukin 2.

1990 verdichtet sich die Beweislage: Immun-Checkpoint-Hemmer werden entdeckt und das erste Tumorantigen wird kloniert. Im Jahre 2011 bekommt nun das Puzzle einen Namen: Immunonkologie. Ein neues Kapitel wird aufgeschlagen. Erstmals wird eine immunonkologisch wirksame Substanz von den Gesundheitsbehörden zur Therapie von Patienten mit fortgeschrittenem schwarzem Hautkrebs (malignes Melanom) zugelassen, die auf eine Reaktivierung des Immunsystems abzielt. Im Jahre 2013 wird die Immunonkologie aufgrund ihrer bedeutenden Erfolge zum wissenschaftlichen Durchbruch des Jahres gekürt. Die mysteriösen Ereignisse aus dem Krankenbett in Bonn sind seitdem 326 Jahre her. Auch die fragwürdigen Moleküle, die Paul Ehrlich seinerzeit beschrieb, sind mittlerweile in ihrer Gesamtheit als Immunsystem bekannt. Ein Preis, der zu Ehren P. Ehrlichs benannt wurde, würdigte 2015 die Immunonkologie als neue Säule der Krebstherapie.

Das Potential der Immunonkologie ist riesig. Dieses vergleichsweise neue Konzept der therapeutischen Behandlung von Krebszellen erzielt bereits erste große Erfolge. Die bereits erzielten Erfolge sind vielversprechend und zeigen, dass die Immunonkologie eine entscheidende Rolle in der Behandlung vieler Tumorerkrankungen spielen kann. Zurzeit werden zahlreiche neue Wirkstoffe intensiv erforscht und teilweise schon in innovativen Behandlungen eingesetzt.

Doch welche Rolle spielt das eigene Immunsystem in dieser Art der Therapie? Im Gegensatz zur herkömmlichen Krebstherapie, die sich direkt gegen Tumor- oder Krebszellen richtet, wird in der Krebsimmuntherapie auf die hauseigene Alarmanlage gesetzt. Das Immunsystem wird unterstützt beziehungsweise verstärkt und soll so eine neue Perspektive im Kampf gegen verschiedenste Krebsarten bieten. Im Normalfall erkennen die weißen Blutkörperchen, darunter T-Zellen und Natürliche Killerzellen (NK-Zellen), bestimmte Zellen und neutralisieren sie. Wenn das Abwehrsystem aktiviert wird, werden sowohl Viren und Bakterien, als auch körpereigene entartete oder infizierte Zellen eliminiert. Sogenannte Escape-Mechanismen ermöglichen es den Krebszellen, dieser Eliminierung zu entkommen. Meist werden die Immunzellen in eine Art Schlafzustand, den inaktiven Zustand versetzt. Die Krebszellen können sich so in aller Seelenruhe im Körper ausbreiten und Tumore können ohne Angriffe wachsen. Die innovativen neuen Ansätze der Immunonkologie aktivieren zielgerichtet die schlafenden Immunzellen und bringen so das eigene Immunsystem wieder in Gang. Die Immunreaktion gegen Krebszellen wird wieder an geschaltet, T-Zellen und Natürliche Killerzellen sind wieder in der Lage, die Krebszellen eigenständig zu bekämpfen. Das altbekannte Hilfe-zur-Selbsthilfe Prinzip bekommt durch die Immunonkologie eine ganz neue Bedeutung.